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Die Zehntenrechte des Berner Patriziats im Waadtland

1536-1798

Patrick-Ronald Monbaron

La dîme en contexte

Ein Kanton im eigentlichen Sinne ist die Waadt erst seit 1803, jedoch ist sie schon seit 1536 als Untertanengebiet der Stadt Bern Teil der Alten Eidgenossenschaft. Unter der Suzeränität des Hauses Savoyen stehend war die Waadt durch Eroberung unter die Oberherrschaft des Berner Patriziats gelangt. Gleichzeitig wurde der Waadt die Reformation aufgezwungen, was zur Folge hatte, dass die Güter und Einkünfte der römisch-katholischen Kirche säkularisiert wurden. Von da an – und bis zur Revolution des Jahres 1798 – wird die Mehrheit der Zehnten-Pflichten von der neuen Autorität bestimmt, welche die waadtländische Getreidewirtschaft ihrer Agrarpolitik unterstellt.

La dîme sur le métier

 Für die Zeit vor dem 19. Jahrhundert liefern die Archive nur wenige Auskünfte von quantitativer Bedeutung über die Landwirtschaft, die der wirtschaftlich dominante Sektor in der vorindustriellen Gesellschaft ist. Dieses Defizit war ein Hindernis für die historische Forschung. Allerdings konnte sie auf einen annehmbaren Ersatz zurückgreifen, und zwar auf die Informationen, welche die Steuererhebungen lieferten.

Deshalb wurde seit den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts der Kirchenzehnte, der als ein potentieller Indikator der landwirtschaftlichen Produktion angesehen wurde, Gegenstand zahlreicher internationaler Studien. Die Untersuchung des Kirchenzehnten im Waadtland unter dem Berner Ancien Régime reiht sich in diese Studien ein und ist ein Beitrag zur Konjunktur einer Region, mehr noch der gesamten Schweiz und sogar Europas. Sie bietet dem Forscher auch einzigartiges Vergleichsmaterial.

La dîme en question

Gesamteuropäisch gesehen sind die meisten Studien über den Zehnten zwischen 1960 und 1980 gemacht worden. Die wirtschaftshistorischen Kongresse in Paris 1969 und in Edinburgh 1978 bildeten damals zwei Etappen der wissenschaftlichen Forschung, wobei Edinburgh zu Hoffnung und Paris zu Skepsis Anlass bot. Zwischen stürmischen Debatten und Kirchturmquerelen haben die Quellen zum Zehnten mehr versprochen als sie gehalten haben. Immerhin haben die methodologischen und analytischen Ansätze den Auswertungen der Quellen Grenzen aufgezeigt, ohne freilich ihre Bedeutung für spätere Untersuchungen in Zweifel zu ziehen. Der Weg dahin ist offen: man muss ihn nur beschreiten und dabei die erworbenen Erfahrungen berücksichtigen.

La dîme sous contrôle

 Der Berner Staat macht sich mit den Sitten und Gewohnheiten der Waadtländer vertraut, akzeptiert diese und lebt mit ihnen einverständlich bis zum Fall des Ancien Régime. Die Berner inventarisieren, kodifizieren und imprägnieren, was sie vorfinden, mit ihrem gesetzgeberischen Willen. Konsequent und beständig stellt Bern die Einheit die Rechts her – übrigens eher mit den Mitteln der Justiz als per Dekret. Durch die entschiedene Rechtsgläubigkeit Berns konnten Revolten im Volk verhindert werden, mochte es auch immer wieder Unzufriedenheit und lokalen Widerstand gegeben haben.

So verhält es sich auch mit dem Zehnten und seiner grossen Bedeutung für die öffentlichen Haushalte. Unzählige Gerichtsurteile und hoheitliche Schiedssprüche sorgen dafür, dass die Zehnten-Gesetzgebung nach und nach dauerhafte Regeln und Handhabungen festschreibt und Missbrauch bei Steuersatz, Franchise und Erhebung, sei er gemeinschaftlich oder von einzelnen begangen, offenlegt. Die Zehnten-Gesetze begrenzen – gestützt auf die Jurisprudenz – Betrug und Partikularismen, ohne freilich einer gewissen Vagheit ein Ende zu setzen, die allerdings ein Zug der Zeit war.
Addendum

La dîme en pagaïe

Die Buchhaltung der Berner Vögte bildet die Hauptquelle der Erforschung des Zehnten im Waadtland. In 615 Bänden oder 3969 Geschäftsjahren, deckt sie, beinahe lückenlos, die gesamte Zeit des Ancien Régime ab und gehorcht dabei einheitlichen Regeln, die eine kohärente Lektüre möglich machen. Die hoheitlichen Direktiven haben darüber hinaus eine vereinheitlichende Wirkung auf die Anordnung der Verzeichnisse, auf die Genauigkeit der Eintragungen und auf eine gewisse Vereinheitlichung der Fristen bei den Jahresabschlüssen, ohne dass dies in eine Standardisierung ausarten würde. Der einfache wirtschaftliche Sachverstand verbietet es, nach einer Verwaltung der öffentlichen Finanzen zu trachten, bei der regionalen Sitten und Gebräuchen nicht Sinn und Raum gegeben würden. Dazu gehört insbesondere das Spektakel der Hohlmasse, mit dem das Volk seinen Widerstand gegen jegliche Form von Zentralisierung ausdrückte.
Addenda

La dîme à tâtons

In ihrer Position als zweifache Nachfolgerin – einerseits des Herzogtums von Savoyen, andererseits der römisch- katholischen Kirche – erwirbt die Stadt Bern eine grosse Zahl an Rechten, die es unter Wahrung der wirtschaftlichen Interessen zu entwirren und gegeneinander abzugrenzen gilt. Die sukzessive Neuordnung der fiskalischen Bemessungsgrundlage und von Zuständigkeitsbereichen verlangt von der Verwaltung grosse Anstrengungen, um schliesslich, in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu einer katastralen Kongruenz von Besitz, Rechtssprechung und Zehnten zu gelangen. Immer mehr stärkt schliesslich hier und da eine Politik fortschreitender Beschneidung oder eine Philosophie der „Eile mit Weile“ die öffentliche Hand auf Kosten des privaten Bereichs. Dies führt insbesondere zu der notwendigen Kohäsion für eine aufgeklärte Eintreibung der Abgaben, seien sie feudal, herrschaftlich oder eben in Form des Zehnten.
Addenda

La dîme en zestes

Welche Besonderheiten waren dem Zehnten im Waadtland eigen? Zum einen macht er das Einkommen messbar, zum anderen liesse er sich auch als Konjunkturindikator lesen. Weitere Auswertungen des Zehnten finden ihre Grenzen beim Umgang mit seriellen Daten und komplementären Quellen. Dabei dividieren hypothetischen Spielereien die gesamte Landwirtschaft auseinander, Produktion und Produktivität etwa werden in ein neues Verhältnis zueinander gesetzt. Wäre das Zehnten-Soduku eine typisch waadtländische Lösung, die sich idealerweise sogar zum Export eignen würde?

Addenda

Séries chronologiques

In dem Masse, wie die harten Fakten länger den Versuchungen der Zeit widerstehen als deren Kommentierung, muss es darum gehen, den Historikern die Zahlen zur Verfügung zu stellen, die den Buchhaltungen der Vögte vom 16. bis 18. Jahrhundert zu entnehmen sind, oder vielmehr zeitliche Abfolgen, die unmittelbar auswertbar sind. Zu diesem Zweck wurden die verschiedenen regionalen Hohlmasse für das Getreide in Hektoliter umgewandelt und schliesslich, im Sinne statistischer Zierde, in Doppelzentner.

Sources

Die Veröffentlichung der Quellen und einer Bibliographie unterwirft sich stets den formalen Anforderungen jeglicher wissenschaftlicher Arbeit. Ein Verzeichnis – als weniger konventionelle Ergänzung gedacht – macht auf diverse archivarische Wegleitungen aufmerksam, deren Entdeckung der Neugier künftiger Forschergenerationen vorbehalten ist.

Publication sous les auspices de la
Publication sous les auspices de la Société d'Histoire de la Suisse Romande

Patrick-Ronald Monbaron
Lausanne, Suisse

Illustrations:
© Musée d'Histoire de Berne
Publication sous les auspices de la Société d'Histoire de la Suisse Romande
Réalisation 128k

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